Ellipse: Prall und Proll
     

 

         Tempora mutantur
              et nos mutamur in illis*

Oma Lünse pflegt zu klagen,
dick wird ihr der Hals im Kragen,
selbst die Ärzte würden träger,
Therapien immer schräger,
sicher wollten wohl die meisten
für ihr Geld auch nichts mehr leisten.

Früher war der Arzt erfahren,
als ich jung, mit zwanzig Jahren
mich total entkleiden musste,
und der gute, pflichtbewusste
anfing, sorgsam ohne Hasten
mich ganz gründlich abzutasten,
vorne, hinten, unten, oben.
Solche Ärzte muss man loben.

Nur im Slip, dem knappen Höschen,
hörte ich sein Diagnöschen,
dabei glühten seine Ohren;
waren sie im Krieg erfroren?

Dann mit nicht mehr ganz so zarten
vierzig Lenzen hieß es warten,
bis als eine von den vielen
ich dann dran war schon mit Schwielen
an dem Po, dem ach so zarten
nur vom stundenlangen Warten.

Er meist mürrisch: Weg die Blusen!
Untersuchen wir den Busen!
Und dann legte er die Ohren,
gar nicht mehr so sehr erfroren,
an den Busen, Bauch die Rippen,
schloss alsdann mit feuchten Lippen
beide Augen, um zu lauschen;
oftmals sah ich, sich was bauschen.
Dann verschrieb der Gott im Kittel,
regelmäßig Abführmittel.

Jetzt mit meinen achtzig Jahren
komm ich mühsam angefahren
mit der Krücke und Rollator
zu dem kleinen Imperator,
Arzt für kranke Altersschwache,
selbst nicht ganz mehr bei der Sache.

Kaum betrete ich sein Zimmer,
das so aussieht wie schon immer,
krächzt er nur, der selbst Debile,
dem wohl keine mehr gefiele,
selbst wenn Venus Aphrodite
flehend vor ihm niederkniete:
Weiß schon! Herz, die Nieren, Lunge!
Zeigen Sie mal Ihre Zunge!

 

*Lat. die Zeiten ändern sich und wir ändern uns in ihnen

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